Verloren und wiedergefunden?! Dein Kulturblick. Was für ein interessantes Thema haben sich das Archäologische Museum Hamburg und Tanja Praske von Kultur Museum Talk da ausgedacht. Für mich war es nicht leicht zu diesem weitgefassten Thema eines kunsthistorischen Museums mit meinem „gut Essen und Trinken“-Blog zu verbinden.
Als ich begann über den möglichen Inhalt des Blogbeitrags nachzudenken, stand ich noch völlig unter den Eindrücken meiner Amerika-Reise im September. Dort war ich auf der großen Canyontour mit vielen großartigen Landschaften des Südwestens der USA. Großstädte besuchten wir lediglich Las Vegas und San Fransisco. Einfach, weil es aus logistischen Gründen notwendig war. Aber natürlich – San Francisco ist schön und jederzeit eine Reise wert. 😉
Kunst & Kultur: Bauwerke, Musik, Kunsthandwerk.
In San Francisco hatten wir am Abreisetag noch etwas Zeit. Nicht viel, aber eben doch gut zwei Stunden. Die nutzen wir um das Asian Art Museum zu besuchen, da es verkehrsgünstig zwischen Hostel und Flughafen lag. Es war angekündigt als DAS Museum für Asisatische Kultur. Im Bewusstsein, dass wir in dieser Zeit den Exponaten und Sammlerreichtum eigentlich nicht gerecht werden konnten, besuchten wir das Museum. Von Vorderasien bis Japan wurden die verschiedenen Kulturen vorgestellt und Meisterwerke verschiedener Epochen ausgestellt.
Anhand dieses Museum – und dann im Anschluss einigen anderen noch gut in Erinnerung gebliebenen Kunstwerken, Museen und Bauwerken – habe ich versucht mein Kunst- und Kulturverständnis im Vorfeld zu diesem Beitrag zu definieren. Wann empfand ich etwas als Kunst und wann als großartige Kunst! Und wann etwas eher verunglückt, oder gar als Krempel.
Wenn ich es auf wenige Stichworte reduzieren möchte, dann sind es:
Form. Schönheit. Ausdruck. Harmonie.
Und: Kunst kommt von Können!
Oftmals auch handwerkliches Können!
Kunsthandwerk
Die Schale aus Jade. Bis sie ein chinesischer Handwerker so perfekt in ihre Form bringen konnte, dauerte es Jahre. Eigentlich Jahrzehnte. Denn bis er überhaupt diesen kostbaren Stein schleifen durfte, musste er beweisen, dass er andere Steine schleifen konnte. Und auch dann brauchte er weitere Jahre um sein Können von ordentlich zu meisterlich weiterzuentwickeln.
Aber so weit entfernt braucht man gar nicht zu gehen. Die Statuen und Altäre von Tilman Riemenschneider und Veit Stoß zeigen ganz beeindruckend wie wichtig neben der Idee der Umsetzung die handwerkliche Kunstfertigkeit notwendig ist. Um von einer einfachen Holzbearbeitung zu atemberaubend schönen Altären und Statuen zu gelangen, muss man jahrelang tagaus tagein viele Stunden mit Bildhauerei verbringen. Erst wenn man das rein handwerklich bewerkstelligen kann, kommt man in die Bereiche wo diese beiden mittelalterlichen Bildhauer anlangten. Nur durch die perfekte Beherrschung von Meissel und Holz können wir heute darüber streiten, wer von beiden meisterlicher den Faltenwurf der Kleidung herausarbeitete. Oder noch viel wichtiger: wer von beiden die liebreizenderen Gesichtsausdrücke seinen Statuen mitgeben konnte!
Musik
Gleiches gilt natürlich auch für die Musik. Jeder weiß, dass Mozart und Beethoven bereits in sehr jungen Jahren musizierten und komponierten. Die großartigsten Werke enstanden jedoch nicht in der Jugend sondern in ‚gesetzterem‘ Alter. Bis dahin waren bereits viele Werke komponiert worden und ein hoher Erfahrungsschatz konnte angesammelt werden.
Harmonische Proportionen und Mathematik spielen sowohl in der Musik wie auch in der Architektur eine große Rolle. Ein neueres Beispiel für harmonische Proportionen liefert das Palladio Concerto Grosso von Karl Jenkins. Jenkins schreibt selbst, dass er sich vom Renassance-Architekten Andrea Palladio und dessen Vorstellung von Hormonie und Ordnung der klassischen Antike inspirieren ließ. Wer das verlinkte Video anspielt, wird schnell herausfinden was ich meine.
Architektur & Gartenbaukunst
Wie sich mathematische Formen in Architektur und Gartenbaukunst wiederspiegelt, habe ich im Beitrag #Lustwandeln im Schloss Schleißheim – Äpfel und blauer Kurfürst schon einmal dargestellt. Ich sage nur „acht“!
Kirchenkunst
Auch nebenbei lassen sich eigentlich im Alltag schöne und meisterliche Bauwerke entdecken. So unzählige Male bin ich zum Beispiel in Nürnberg die Königstraße vom Hauptbahnhof zum Hauptmarkt gelaufen. Und habe ganz großartige Bauwerke sowie Kleinode links und rechts aus Unachtsamkeit liegen gelassen. Nach und nach wurde in den letzten Jahren mal links oder rechts inne gehalten. Und St. Martha und St. Klara sowie die großartige Lorenzkirche von innen erkundet.
Gerade in Kirchen kann man Kunst und Kultur in Architektur, Ausstattung und Musik gemeinsam bewundern. Zumindest früher war die Erstellung und Ausstattung dieser Bauwerke den Meistern ihrer Zeit vorbehalten und Grundstein dafür, dass diese Bauwerke nicht geschliffen wurden.
Moderne Kunst
Wenn ich meine oben genannte Definition von Kunst zugrunde lege, dann wundert es mich nicht, dass ich mit moderner und zeitgenössischer Kunst meist meine Probleme habe. Dort geht es oft nicht mehr um Schönheit und Harmonie. Oder besondere handwerkliche Kunst. Oder darum etwas höherem – einer Gottheit – zu gefallen. Wenn ein Kunstwerk dann auch noch aufrütteln oder gar schockieren will, dann vermisse ich sehr oft handwerkliches Grundverständis. Meist sehe ich dann nur noch „er hatte eine Idee“. Diese wurde meist aber nicht 100-fach umgesetzt um überhaupt vom Status des Ausprobierens in den Status des handwerklichen Könnens überzugehen um dann der Perfektion entgegenzustreben. Ich empfinde die Umsetzung dann als angestrengt. Und bin dann selbst angestrengt. Beispielhaft sind mir da die Installationen im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien in Erinnerung. Für die Idee gab es mehrmals ein „Interessant“ und ein „Was hat der für Drogen genommen?“. Aber die Umsetzung gefiel mir nicht, da ich darin keine außergewöhliche Kunstfertigkeit außerhalb der Idee sah.
Kunst & Kultur: Ess- und Trinkkultur, Lebenskunst.
Nach dieser doch langen Vorgeschichte fragt sich der Leser vermutlich, wie ich da einen Bogen zu Ess- und Trinkkultur schlagen möchte. Ja, das habe ich mich zu anfang auch gefragt. Aber großartiges alltägliches Essen und festliches Speisen will auch gelernt sein. Denn auch hier gilt: Kunst kommt von Können!
Dafür werde ich Beispielhaft von der absoluten Perfektion zum einfacheren gehen. Vom japanischen Sushi-Koch zur eigenen Küche.
In Sachen Kochkunst / Kochkultur heben sich besonders die Japaner hervor. Klassischer Weise braucht man bis zu 15 Jahre bis man ein vollwertiger Sushi-Koch wird. Beginnen tut er seine Lehrzeit monatelang mit beobachten der anderen Köche. Später dann muss er lernen Reis für Sushi perfekt zu kochten. Das geht vom richtigen Waschen, über das Aussortieren beschädigter Reiskörner bis zum eigentlichen Kochen und Würzen des Reises. Und auch von da an geht jeder Schritt entsprechend langsam, damit die einzelnen Schritte durch Wiederholung bis zur Perfektion geübt werden. Einen Einduck über den langen Ausbildungsweg zum Sushi-Koch gibt dieser Artikel wieder.
Die japanische Philosophie von Kochkunst entspricht damit zufälligerweise fast genau meiner Definition von Kunst / Kultur mit: Form. Schönheit. Ausdruck. Harmonie. Kunst kommt von Können!
Im Alltag ist dies natürlich für die meisten – und natürlich auch für mich – nicht umsetzbar. Und auch gar nicht notwendig! Man muss auch Japan nicht als Übertreibung darstellen, um trotzdem essentielle Dinge auch für die eigene Ess- und Trinkkultur herausziehen. Auch kann man sich über andere Kulturen, wie z.B. der italienischen, spanischen oder französichen Kultur an seine eigene Tischkultur herantasten. Manches ist mal mehr, mal weniger ausgeprägt und hängt häufig mit dem eigenen familiären Hintergrund zusammen. Fragen wie: „wie viel Zeit wurde für Kochen und Essen in der Familie im Alltag aufgewendet?“, „wie wurde in meiner Familie Feste gefeiert?“, „wie groß war die Familie“, „wie viel Zeit haben die Feste in Anspruch genommen?“, „wie oft fanden sie statt?“.
Aus den Fragen ergibt sich schnell die Erkenntnis zu „was“ wird gekocht und in welcher Häufigkeit. Wie viel Zeit nimmt man sich? Ist der Kochprozess lästig oder Familienevent? Früher standen oft alle Frauen gemeinsam in der Küche und kochten und palaverten. Mit dem immer größeren Aufweichen der Familie und dem Verlagern des Wohnens von der Küche ins Wohnzimmer, wurde diese wichtige soziale Komponente aus dem Alltag mehr und mehr vertrieben.
Ich weiß noch in meiner Familie. Es gab keine Wohnküche, auch keinen Sitzplatz in der Küche. Dadurch war ich als Jugendliche selten in der Küche. Außer ich wurde zum Kartoffel schälen und Zwiebel schneiden verdonnert. Was mein Verlangen sich in der Küche aufzuhalten natürlich weiter schälerte. Folglich stand meine Mutter meist alleine in der Küche…
Damit sich dieses traurige Schicksal bei mir nicht wiederholt, haben sich mein Mann und ich darauf geeinigt, dass derjenige, der nicht kocht, sich zumindest in der Küche mit aufhält. Dank WLAN auch gerne am Rechner sitzend, nur nicht alleine. Aber da mein Mann auch gerne kocht, war das auch nie wirklich ein Thema.
Sich die Zeit zu nehmen und oft zu kochen musste auch ich erst lernen. Es brauchte viele Jahre, bis ich von unbeholfen Zutaten zusammenschütten zum ordentlichen Kochen kam. Und auch jetzt bin ich noch lange von der Perfektion entfernt. Aber durch Üben und Wiederholen werde ich besser und es geht leichter von der Hand. War man am Anfang ganz aufgeregt seine erste Hühnerbrühe zu kochen oder das erste Sauerteigbrot zu backen, so ist die notwendige Routine eingetreten um langsam zu einem Können zu kommen.
Ein weiterer Aspekt des Könnens ist, dass es von außen leicht aussieht. Und ja, für die Person ist es leicht, da es durch vielfaches Wiederholen leicht geworden ist. Und selbstverständlich. Man muss über die Handgriffe nicht mehr darüber nachdenken. Es wird leicht und selbstverständlich.
Und je nach Familie wächst man damit dann auch auf. Da ist es dann entweder selbstverständlich oder eben etwas besonderes zu Hause groß für die Familie oder Freunde aufzutafeln. Nicht nur einen, sondern mehrere Gänge aufzutischen. Mehrere kleine, ein zwei Größere und Nachtisch. Eventuell noch umrahmt mit Aperitiv-Cocktail und selbstgemachten oder gekauften Knabbereien, verschiedenen Weinen zu den Gängen sowie dem Abschlussdigestiv. Das Kochen nichteinmal eingeschlossen, alles in allem eine zeitaufwendige Geschichte. Das Kochen dauert dann gerne den ganzen Vormittag / Tag und das Essen dann ebenfalls mehrere Stunden.
Vor vielen Jahren durfte ich genau dieses einmal bei einer französischen Familie als Gast miterleben. Beim Kochen war ich nicht dabei, weil wir tatsächlich erst zum Essen und nicht schon zum Vorbereiten kommen sollten. Es war für mich ein außergewöhnliches schönes Erlebnis, da ich das so von meiner Familie damals nicht kannte. Aber es war auch sehr sehr anstrengend. Ich war es nicht gewohnt mich so viel unterhalten zu müssen…
Wenn man das nicht kennt, ist es anstrengend. Mittlerweile habe ich solch ausgiebigen Menüs häufig genug erlebt, dass es inzwischen ein reines Vergnügen ist. Egal, ob es bei Privatpersonen oder im guten Restaurant ist. Denn wenn das Prozedere klar ist und schon allein wie, wann, was kennt, fängt es an leicht zu werden. Dann kann man sich auf die einzelnen Dinge konzentrieren. Das Essen, die Getränke, die Gesamtkombination aus beiden. Das Ambiente. Die Gespräche. Man beginnt diese Art von Leben in sich aufzunehmen, es zu pflegen, wachsen zu lassen und selbst vom beim Genießen vom ungewohnten Anfangen zum Können überzugehen.
Und ganau dann beginnt man selbst an der Kunst des Lebens teilzunehmen und zur Lebenskunst auszubauen.
In diesem Sinne: À votre santé! Das Leben ist schön!
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OH, liebe Sylvia – ein fantastischer #KultBlick – ich lese mich gerade durch die 16 Eingänge von gestern – bislang gibt es 80 Teilnehmer und andere haben ihre Gedanken noch angekündigt. Ich bin absolut sprachlos!
Aber dein Schlenker über Kunst, Architektur und Kunsthandwerk zur Esskultur finde ich famos! Ich war auch mal eingeladen zu einem französischen Geschäftsessen in der Familie. Damals war ich noch als Handelsvertreter für Porzellan in Limoges unterwegs. Drei Stunden ging das und es war fantastisch. Tatsächlich besprachen wir nicht so viel Geschäftliches, denn die Franzosen wissen einfach zu genießen. Es hat uns aber für die nachfolgenden Verhandlungen gut vorbereitet und ja, hier hatten die Franzosen einen Vorteil bei mir gussschaftet.
Gleichzeitig freue ich mich auf unsere neue Küche nächstes Jahr, die jedoch ein fetter Umbau und eine etwas längere Baustelle bedeutet. Aber bereits Junior (16) sagte dazu, „gell, Mama, wenn wir die neue Küche haben, dann werde ich auch kochen. In der kleinen mag ich das nicht“ – ich nehme ihn beim Wort und habe schon ein 5-Gänge-Menü in Auftrag gegeben, denn ich esse für meinen Lebtag gerne.
herzlich,
Tanja
Hallo Sylvia,
ich kann Deiner Herleitung bzw. Deiner Verbindung von Kunst, Kultur, Lebenskunst nur zustimmen. Kochen hat so viel mit Kultur zu tun, ist Spiegel eines Kulturkreises – und oft Spiegel des aktuellen Gesellschaftszustandes (man denke nur einmal an die aktuellen Foodtrends…). Umso schöner, wenn alles in einem grandiosen Essen zusammenkommt, bei dem die Kunst auf dem Teller mit dem Ambiente zusammen passt.
Viele Grüße
Daniela
Liebe Sylvia,
was für großartige Bilder und schöne Gedanken!
Es macht so viel Spaß, Deine wunderbaren Texte zu lesen – blöd nur, dass man dabei immer Hunger bekommt und Lust, eine schöne Flasche Wein zu öffnen.
Danke liebe Elke!
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